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Meine Rezension: Miljenko Jergović – Das Walnusshaus

Heute schreibe ich über ein faszinierendes Buch. Ob es sich als Ferienlektüre wirklich eignet, das muss der Leser selbst entscheiden.

Ich fand es sehr passend für unseren 3. Ferienaufenthalt in Kroatien und sehr passend zur Beschäftigung mit Kultur und Sprache des Landes.

Die Geschichte des Romans wird rückwärts erzählt. Sie beginnt mit der verrückt gewordenen Regina Delavale, die 97jährig im Krankenhaus mit einer Überdosis Medikamente ‚eingeschläfert‘ wird. Kapitel für Kapitel rollt der Autor ihr Leben in Dubrovnik auf. Dabei wird ganz nebenbei ihre spannende Familiengeschichte bis ins 19. Jahrhundert hinein erzählt.
Die Geschichte kann nicht erzählt werden, ohne auf die politischen Entwicklungen, Kriege und Grausamkeiten auf dem Balkan im Verlauf des 20. Jahrhunderts einzugehen. Miljenko Jergović schönt diese Begebenheiten nicht und stellt sie in der ihm eigenen direkten aber auch derben Sprache dar. Ich mag diese direkte schnoddrige Sprache, wie sie auch einer meiner Lieblingsautoren Phillippe Djian verwendet, der diese Form neulich in einem Interview als ‚hingerotzt‘ bezeichnete.
Für empfindsame Gemüter ist das Buch aus diesem Grund nicht unbedingt geeignet. Allerdings gelingt es ihm durch genau diese Art der Erzählung immer wieder, den Leser zum Lachen oder zumindest zu einem Schmunzeln zu bringen. Das macht das Buch trotz aller Grausamkeiten zu einem sehr lesenswerten Roman über die Geschichte einer Familie und einen politischen Brennpunkt in Europa.

Einige kleine Textauszüge aus diesem Buch sprechen mich sehr an, finde ich schön, machen mich aber auch nachdenklich, so dass ich sie hier zitieren möchte.

„Wenn Du klein bist und das Leben in Tagen und nicht in Jahren misst, widerfahren Dir häufig Wunder, aber noch häufiger wirst Du enttäuscht und denkst, dass es gar keine Wunder gibt“  (s.S. 67)

„Er ging mit dem untrüglichen Gefühl dorthin, dass das Leben aus Freude, Spaß und Nichtstun bestehen kann und muss und dass nur traurige Gestalten, sie sich und anderen auf der Seele liegen, ernsthaft jeden nächsten Schritt planen und den Lebensunterhalt für das Wichtigste halten. Solche Leute mussten am Ende untergehen und verhungern. Wer nie an Armut denkt, wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nie spüren, …“ (s.S. 212)

„…Millionen von Frauen und Männern auf der Welt hofften auf Hunderttausende eigene Wunder, und dabei verachteten sie sich gegenseitig, denn fremde Hoffnungen empfindet man fast immer als unanständig….“ (s.S. 431)

Nach 613 Seiten lege ich das Buch nur ungern aus der Hand. Wie gerne hätte ich noch mehr über die Schicksale weiterer Personen im Leben Regina Delavales erfahren. Aber: Die Geschichte ist so wie sie ist, bis zum Ende erzählt.

Am Ende des Romans wird mir noch etwas klar, nämlich dass der Frieden etwas sehr fragiles ist und Miljenko Jergović ein Buch für den Frieden geschrieben hat. Gerade in der Betrachtung der neueren Geschichte auf dem Balkan und dem Umgang der Menschen miteinander. Diese Beobachtung lässt mich etwas ratlos zurück, möglicherweise liegt das aber auch daran, dass ich in die Kultur eintauche, sie entdecke und daher sensibel bin. Vielleicht liegt es auch an meiner Schwiegermutter, die mit uns auf der Reise ist. Sie ist im damaligen Jugoslawien geboren, in einem Landesteil des heutigen Kroatien. Vor 40 Jahren ist sie nach Deutschland gekommen. Für einige Wörter die sie in ihrer ‚Muttersprache‘ verwendet, muss sie sich oft rechtfertigen, weil sie in der ’neuen‘ kroatischen Sprache anders sind, ‚kroatisch‘ und nicht ’serbokroatisch‘. Also serbische oder bosnische Wörter, die sie noch mehr zur ‚Ausländerin‘ machen und die immer wieder die wichtige Frage aufwerfen, woher sie denn stamme. Gar nicht so leicht, aber das ist eine andere Geschichte.

Fazit zum Buch:
Kaufen, lesen und wer seinen Urlaub in Kroatien verbringt, wer mehr wissen möchte, der sollte genau über diese Ferienlektüre nachdenken.

Viel Spaß beim Lesen und einen schönen Urlaub!

Das Walnusshaus: Roman

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